Harry Harun BEHR / Meltem KULAÇATAN: DİTİB Jugendstudie 2021, Weinheim / Basel, Beltz Juventa (2022)

Die Studie, die sich bewusst auf muslimische Jugendliche zwischen 14 und 27 Jahre fokussiert, die ehrenamtlich in Moscheegemeinden des DİTİB-Moscheeverbandes aktiv sind, möchte reflexartige Assoziationen von Gruppenhomogenität dekonstruieren. Mit dieser Lebensweltstudie sollen Erkenntnisse darüber gewonnen werden, „was junge Muslim:innen wirklich denken und fühlen, welche Erfahrungen sie machen, welche Interessen sie verfolgen und welche Hoffnungen für ihre Zukunft sie hegen – und nicht zuletzt: wie unterschiedlich sie darin sind.“ 

„Es scheint auf der Hand zu liegen, dass Jugendliche, die sich positiv zur DİTİB positionieren, damit automatisch ein bestimmtes Spektrum innerhalb der Farbenlehre bundesdeutscher muslimischer Jugendlichkeit darstellen. Aber dieser Annahme liegt der immer noch weit verbreitete Glaube an die Existenz stabiler Milieus mit jeweils eigener habitueller, mentaler und sozialer Funktionslogik zugrunde.“ (S. 10)

Für die pädagogische Arbeit ist insbesondere das letzte Kapitel mit zusammenfassenden Ergebnissen und Ausblicken anregend. Darin wird u.a. der Aspekt „Diskriminierung“ thematisiert und aus den untersuchten Äußerungen in verschiedene „Segmente“ unterteilt: „retrospektive (der Blick auf die eigene Biografie), analytische (die Wahrnehmung von Situationen), empathische (das Mitfühlen mit Betroffenen), handlungsbezogene (der Umgang mit Ereignisfällen) und andere Aspekte, die nicht eindeutig zugeordnet werden können.

Die Werte für die unterschiedlichen Ausprägungen von Diskriminierung sind weit gestreut. Aber es zeichnen sich Verdichtungen für die Bereiche Herkunft und Religion ab. Hier wird von den Befragten auch das Segment der öffentlichen Schule kritisch ins Schlaglicht gestellt. Das betrifft immer noch die institutionelle Wahrnehmung des Islams als sogenannte Fremdreligion.“ (S. 152)

Und in diesem Kontext wagen die Autor*innen einen Vergleich zwischen der Verarbeitung von diskriminierenden und zurücksetzenden Erfahrungen der ersten Generation türkischstämmiger Arbeitsmigrant*innen mit Verlust und Herabsetzungserfahrungen nach der Wiedervereinigung in den östlichen Bundesländern:

„Der ersten türkischen Gastarbeiter:innengeneration und ihren diversen religiösen und kulturellen Vereinen ist es in den zurückliegenden Dekaden gelungen, die in Deutschland und am eigenen Leib erfahrenen Demütigungen nicht an ihre nachrückenden Generationen weiterzugeben. Sie haben es stattdessen geschafft, Resilienz und Erfolgsmotivation sowie eine positive Grundeinstellung zu den staatlichen Regelsystemen grundzulegen. Das ist auch das Verdienst religiöser Organisationen wie der DITIB.

In Kontrast dazu scheint es so zu sein, dass mit der deutsch-deutschen Wiedervereinigung und mit dem Ende der DDR eher Narrative von Scheitern, Aufstiegsverlust, unerfüllten Erwartungen und Systemversagen sowie letztlich von Schuldzuweisung in den neuen Bundesländern Raum greifen konnten. Das wurde vermutlich dadurch verstärkt, dass so gut wie keine religiöse Grammatik als sinnstiftendes Korrektiv zur Verfügung stand. Hierin dürfte eine der tieferen Ursachen dafür liegen, dass sich im Osten der Republik demokratiefeindliche, rechtsradikale und abwehrnationalistische Haltungen in der nachrückenden Jugend in der Post-DDR manifestieren und im Wahlverhalten niederschlagen konnten. Die vorliegende Studie verweist deshalb auch auf Religion im allgemeinen Sinne der Mehrheit und Religion im spezifischen Sinne einer migrantisch markierten Minderheit.“ (S. 153)

Das Buch ist als Open Access-Publikation kostenlos bei Beltz Juventa Verlag zu beziehen.

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